Heimrad Prem (1934 Roding/Oberpfalz - München 1978) – Gefangennahme. Öl auf Leinwand. (19)62. Ca. 100 x 100 cm. Signiert und datiert oben links. Dornacher 138. • Historisch bedeutendes Werk mit religiöser Symbolik im Spannungsverhältnis zu Politik, Justiz und Gesellschaft • Prem war Wegbereiter einer engagierten Kunst, die ihre Themen in gesellschaftlichen Prozessen fand • Mitbegründer der Gruppe SPUR, die heute als eine der bedeutendsten deutschen Künstlergemeinschaften der Nachkriegszeit gilt Am 4. Mai 1962 kommt es zu einem höchst unrühmlichen Ereignis in der deutschen Justizgeschichte. Beim Amtsgericht München findet die erste Hauptverhandlung gegen vier Künstler der Gruppe SPUR statt. Dieter Kunzelmann, Helmut Sturm, H.P. Zimmer und Heimrad Prem müssen sich vor dem bayerischen Gericht verantworten. Vorgeworfen wird ihnen, sie hätten „unzüchtige Schriften feilgeboten, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugängig sind, ausgestellt oder sonst verbreitet, so wie sie zum Zweck der Verbreitung hergestellt oder zu dem Zwecke vorrätig gehalten, angekündigt oder angepriesen...“. Es ist der erste Prozess in der noch jungen Bundesrepublik gegen lebende bildende Künstler, gar gegen eine Künstlergruppe. Was war passiert? Am 9. November 1961 hatte „die Münchener Staatsanwaltschaft die herausfordernde Frechheit, die gesamte Auflage aller sechs Nummern der Künstlerzeitschrift SPUR zu beschlagnahmen.“Die Situation ist mehr als aufgeheizt, sogar das erzbischöfliche Ordinariat schaltet sich ein. Der Bischof der Diözese Freising und München zeigt sich empört. Befreundete Künstler verteilen Flugblätter und einflussreiche Stimmen der Kultur schreiben Gutachten. Artikel 5, Absatz 3 wird von den Künstlern herangezogen, doch der Prozess, der bald als „SPUR-Prozess“ durch die Presse geht, wird sich, so ist bald klar, über Monate hinziehen und es wird ungemütlicher als erwartet. Grundgesetz Artikel 5, Absatz 3 wird von der Justiz zwar in der ersten Urteilsbegründung berücksichtigt, einschränkend jedoch erklärt: „die Kunst ist frei, nicht aber der Künstler überhaupt und allgemein.“ Was mit einigen Gedichten und collagierten Provokationen im SPUR-Heft Nr. 6 begann, nimmt so schnell unerfreulich Fahrt auf. Kunzelmann, Prem und Zimmer werden für die Verbreitung „unzüchtiger Schriften, Gotteslästerung in Tateinheit mit Beleidigung“ gemäß zwei Dutzend Paragraphen verurteilt. Mehrmonatige Gefängnisstrafen stehen im Raum. Großzügig und „strafmildernd“ befindet die Justiz, dass die Angeklagten verhältnismäßig jung sind und sie eventuell auch schädlichen Einflüsterungen aus dem Ausland ausgesetzt waren.Am 2. November des gleichen Jahres geht die Farce in die nächste Runde. Hier werden von der Verteidigung die Gutachten von u.a. Walter Jens (Prof. für Altphilologie in Tübingen), Werner Haftmann (Kunsthistoriker und Documenta-Macher) und Joseph Oberberger (Prof. für Malerei an der Münchner Akademie) vorgelegt. Otto van de Loo hatte unermüdlich mobilisiert. Selbst Guy Debord schreibt aus Paris. Das Gericht beanstandet jetzt nur noch wenige Zeilen, kann sich aber trotz Beratung nicht zu einem Freispruch der Künstler durchringen. 13 Jahre ziehen ins Land. Erst nach x-weiteren Berufungsverhandlungen wird die Verfassungsbeschwerde im Februar 1975 beim Bundesverfassungsgericht endgültig abgelehnt. Heimrad Prem sucht und findet Mittel der Verarbeitung der Ereignisse. „Am Anfang war das Bild“ muss die Parole heißen. Er greift ins Motivreservoir der Konfliktgeschichte und zerrt mit dem Topic der Gefangennahme Jesu gleich das ganz große christliche Theater ins Atelier. Natürlich kennt er die kleine, delikat gemalte Holztafel aus der Alten Pinakothek, auf der Wolf Huber zu Zeiten des Bauernkriegs schon 1525 die Schergen den Heiland abführen ließ. Die Entlehnung des Themas wird vollends Programm, wenn Prem Corinths „Gefangennahme Christi“, sein Ecce homo, ein gewaltiges Ölbild aus dem Kunstmuseum Basel zum fernen Schatten erklärt. Als zentrale Bildfigur wird der Künstler zum „Erlöser“, setzt sich kompositorisch gleich, und umgehend führen zwei weißgesichtige Münchner Stadtpolizisten – nicht erst seit den Schwabinger Krawallen einschlägig für ihre Rigorosität im Einsatz mit Pferd und Knüppel bekannt – den Delinquenten vor und ab. Ihre Hände nichts als Zangen, ihre Krawatten schwarz wie die Nacht. Im Hintergrund ist rechts der „große Bruder“ und Mastermind der SPUR, Helmut Sturm zu erkennen, und links davon eine dunkelhaarige Frau mit picassoesken Doppelaugen im Profil, die so unfreiwillig zur Maria Magdalena (und zur Dora Maar) wird. Das arglos gestreifte Hemd des „Künstler-Christus“ mit den roten Linien bringt „wenn Rot nur noch die Farbe des Blutes ist“ und mit etwas Blau verirrt sich ein wenig Farbe in die Grisaille. Der Künstler hat den Mund offen, in den Augen gefriert der Zweifel. Ein trotziges Bild. Schon Ende Mai 1962 sichert sich Otto van de Loo die überraschend erzählerische Malerei zum Ereignis für seine Sammlung und die Zukunft. Seit Jahrzehnten schmückte es als Fanal die gleiche Wand. Heute, mehr als siebzig Jahre später, steht das Bild „Gefangennahme“ auch für eine frühe „Bonner Republik“, in der zwar über „das Menschenbild in unserer Zeit“ heftig diskutiert wird, aber die „Weltsprache Abstraktion“ bereits die internationalen Debatten bestimmt. Längst ist deutlich formuliert, welcher Platz für die Künstler und die so geförderte Kultur in einer Wirtschaftswundergesellschaft amtlich reserviert war. Aber es ist komplizierter. Prem gibt nicht wirklich den „tortured artist“ unserer auf Selbstexposition so abonnierten Gegenwart. Das belanglose, „normale“ ist ihm bedrohlich genug. Die Darstellungen der Martyrien der Gotik, die Versprechen der Passionsgeschichte, für Prem waren dies die einzig begreiflichen Bilder seiner Realität. Die „Verfolgung“ der Künstler war 1961 Wirklichkeit, nicht Rollenspiel zur Erlangung von Klicks im Überbietungsszenario der heute so beliebten, öffentlichen Paranoia. Für die „Liquidierung der Welt des Entzugs von Leben“ kämpft Prem auf dem rutschigen Asphalt des Alltags. Das vermeintliche Ende ist erst der Anfang des großen Spiels. Die Versprechen der „Konstruktion von Situationen“ liegen in der Hoffnung auf eine offene Gesellschaft verborgen. „Avantgarde ist unerwünscht“, hatte die SPUR, hatte Prem mit seinen Freunden noch als Teil der Situationniste International im Januar 1961 deutlich lesbar getextet und eine „Pseudo-Avantgarde“ als Steigbügelhalter einer Kreativwirtschaft bereits klar seziert. Heute, diesen Teil der Geschichte deutlich vor Augen, wird Prems „Gefangennahme“ zum Historienbild, beredtes Zeugnis eines Moments, in dem die Ganzheit einer Person sich stets erst über ihre dauernde Neudefinition in einem Prozess der bewussten Auflösung als handlungsfähig erweist. Die Situation ist heute genau umgekehrt wie zu Beginn der 1960er Jahre. Man schadet den Künstlerinnen und Künstlern nicht mehr in direkten Verfahren. Man beutet schlicht ihre Lebensform aus: „Liberté toujours“. Sie sind die einzig feste Währung in einer Eventkultur, in der „creative people“ als Illusion ihrer eigenen Möglichkeiten, sich selbst dem „Unternehmen Mensch“ in seiner gesellschaftlichen Pose zu Verfügung stellen. Das neue Ideal ist der „entrepreneur artist“. 1962 als Heimrad Prem „Gefangennahme“ in Schwabing malt, hatte er diese tatsächlich erlebt. Oder wie Kunzelmann vor Gericht sagte: „Die herrschende Religion ist immer noch eine Religion der Herrschaft.“(Axel Heil) Ausstellung: Gruppe SPUR: 1958-1965. Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm, HP Zimmer, Städtische Galerie Regensburg/Städtisches Museum Mülheim/Museum Ulm, 1986, Kat.-Nr. 100, mit s/w Abb. S. 22. Provenienz: Otto van de Loo, München; Privatsammlung, München. Taxation: differenzbesteuert (VAT: Margin Scheme).